Die vier Haltungen

Einer der Grundlagentexte der Yoga Philosophie sind die Yoga Sutras von Sri Patanjali. Es handelt sich hierbei nicht um einen fortlaufenden Text, sondern um kurze, prägnante Sätze, sog. Sutras.
Die Yoga Sutras bestehen aus insgesamt 195 Sutras, welche in vier Kapitel oder Bücher unterteilt sind und den Yogaweg beschreiben.

Yoga Sutra I.33

„Maitri karuna muditopeksanam sukha duhkha punyapunya visayanam bhavanatas citta prasadanam.“

Am besten gefällt mir die Übersetzung von Sri Swami Satchidananda*, welche auf der Leseliste meiner Yogalehrer Ausbildung stand:

„By cultivating attitudes of friendliness toward the happy, compassion for the unhappy, delight in the virtuous and disregard toward the wicked, the mind-stuff retains its undisturbed calmness.“

Meine sehr freie Übersetzung ins Deutsche:
„Indem wir die Haltungen von Freundlichkeit gegenüber den Glücklichen, Mitgefühl für die Unglücklichen, Anerkennung für die Rechtschaffenen und Gleichmut gegenüber den Bösen kultivieren, erhalten wir uns eine unerschütterliche innere Ruhe.“

Sri Patanjali unterteilt die Menschen, denen wir begegnen, in vier Kategorien und rät uns in diesem Sutra mit welcher Haltung wir ihnen begegnen sollen. Dieser Raster hilft uns Gelassenheit zu bewahren, aber auch uns mit anderen mitzufreuen oder ihnen Mitgefühl entgegenzubringen.

Friendliness toward the happy

Klingt easy, ist aber nicht immer so einfach. Stellt euch vor, ihr habt einen schlechten Tag und da gibts diese unglaublich gut gelaunten, fröhlichen, strahlenden Menschen. Ihnen gegenüber eine freundliche Haltung zu bewahren, ja uns mitzufreuen, ist gar nicht immer so einfach.

Sri Patanjali rät uns, uns der Situation bewusst zu werden und zu beobachten, was geschieht. Denn zu wissen „was abgeht“, verhindert oftmals sich vom Strudel der Emotionen mitreissen zu lassen. Wenn ich in diesen Strudel gerate, dann identifiziere ich mich mit meinen Emotionen und fühle mich als wäre ich die Kugel in einem Flipperkasten. Der Beobachtungsposten ermöglicht mir, die Situation zu verstehen und mir selber – die ja oftmals in diesem Moment ziemlich unglücklich ist – Mitgefühl entgegenzubringen.

Mich einfach mit jemandem mitzufreuen hat mir ausserdem schon oft den Tag gerettet und positive Emotionen verschafft. Bewusst den Fokus auf das Positive zu lenken hilft zudem die eigenen Emotionen zu stabilisieren, was wiederum zu innerem Frieden und Ruhe führt. Denn durch Eifersucht und Neid schadet man nicht dem anderen, sondern ausschliesslich sich selbst und bringt sich aus dem Gleichgewicht.

Compassion for the unhappy

Klingt auf den ersten Blick einfach, doch was ist, wenn die eigenen Pläne über den Haufen geworfen werden, weil jemand krank geworden ist? Jep, ziemlich schnell wird aus dem Mitgefühl Genervtheit oder gar Wut. Was nun? Es geht nicht darum, diese Emotionen beiseite zu schieben oder gar zu unterdrücken – im Gegenteil! Sie sind da, also dürfen sie anerkannt und beobachtet werden, um dann liebevoll und bewusst aus Mitgefühl zu handeln.

Delight in the virtuous

Und dann gibt es da diese Menschen, die gefühlt alles richtig machen. Die immer wissen, was zu tun ist und den richtigen Ton treffen. Die sich einbringen und Gutes tun. Hier lautet die Devise: nicht neidisch sein, die guten Qualitäten im anderen anerkennen und sie im eigenen Leben zu integrieren versuchen.

Disregard toward the wicked

Die vierte Kategorie ist die schwiergste und die umstrittenste. Es gibt sie, die bösen Menschen – ich vermeide hier bewusst den Begriff „Monster“, denn egal wie böse jemand ist, es ist und bleibt ein Mensch. Wie begegnet man solchen Menschen? Sri Patanjali empfiehlt, ihnen keine Beachtung zu schenken und sie mit Gleichmut hinzunehmen. Das bedeutet nicht, gutzuheissen was sie tun oder dass einem ebendas egal ist. Es geht ausschliesslich um die eigene innere Haltung. Die Taten anderer gutzuheissen und der Umgang mit unserer inneren Haltung sind zwei grundverschiedene Dinge, die rein gar nichts miteinander zu tun haben.

Fazit

Sri Patanjali liefert uns mit den vier Haltungen ein erstklassiges Tool für den Umgang mit Menschen in unserem Alltag. Ich brauchte etwas Zeit, um in die Position des Beobachters zu kommen, doch je öfter mir das gelingt, desto einfacher fällt es mir. War dies anfänglich nur rückblickend möglich – zum Beispiel während dem Schreiben meiner Morgenseiten – gelang es mit zunehmender Übung und Praxis immer näher am Ereignis bis ich zuletzt in der Situation selbst die Analyse anhand des Rasters durchführen und meine eigene Haltung überprüfen konnte. So tastete ich mich Schritt für Schritt voran – und bisweilen machte ich auch einen oder mehrere zurück, doch auch das ist vollkommen in Ordnung und gehört zum Leben dazu.

Kennst Du die vier Haltungen? Wie schauts aus mit Sri Patanjali und seinen Yoga Sutras? Wie denkst Du über dieses Raster? Ziehst Du eine Anwendung in Deinem Alltag in Betracht?

Lass es mich gerne wissen, ich freue mich auf unseren Austausch!

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2 Antworten auf „Die vier Haltungen“

  1. Liebe Anita, danke für diese tolle Übersicht. Ich finde jede dieser Haltungen sehr spannend und im Grunde könnte man sicher zu jeder Haltung mindestens einen Abend bis in die Nacht Gespräche führen. Ich hatte gerade eine Fortbildung zum Thema Fremd- und Selbstbild und da ging es um drei Grundhaltungen, die von einer Pädagogin (eine Frau Klein) zusammengestellt wurden. Dort ging es um „unbedingte Wertschätzung“, „Mitgefühl“ und „Authentizität“. Ist es nicht spannend, was für Parallelen man ziehen kann und wie hochaktuell Patanjali und mit ihm die Yogaphilosophie ist?

    1. Liebe Maike,
      oh ja, da hast Du völlig recht, ich glaube das gäbe pro Haltung mehrere abend- oder gar nächtefüllende Gespräche. Gerade wenn man dann in die Praxis geht und gemeinsam erforscht wie man das im Leben schon anwendet.
      Was für ein wundervolles Beispiel aus Deiner Fortbildung! Die Aktualität der Yoga Philosophie in unserem Alltag aufzuzeigen ist einer der Grundpfeiler meines Blogs. Danke Dir für Deinen Input!

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